Experiment HEIMAT

Positives Zwischenfazit beim "Experiment HEIMAT"

Gelungener Abschluss der Recherchephase: Acht hochkarätige Autor*innen und neun international renommierte Fotograf*innen reisten drei Monate lang an neun HEIMAT-Orte in ganz Westfalen.

Das vom Westfälischen Literaturbüro in Unna e.V. (WLB) konzipierte und organisierte Literatur- und Fotografieprojekt "Experiment HEIMAT" zieht nach Abschluss seiner ersten Phase 2021 eine positive Zwischenbilanz. Obwohl die COVID-19-Pandemie für einen teils enormen Mehraufwand bei der Veranstaltungsplanung gesorgt hat und Teile des öffentlichen Begleitprogramms ins Digitale oder nach 2022 verschoben werden mussten, sei das wichtigste Ziel vollumfänglich erreicht worden.

"Wir freuen uns sehr, dass die Künstler*innen trotz der Pandemie an den HEIMAT-Orten recherchieren und mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt treten konnten. Das war immer unser wichtigstes Anliegen in dieser Projektphase. Denn ohne diese umfangreichen Recherchen, die die Fotograf*innen und Autor*innen zur Produktion anregen sollten, hätten wir im kommenden Jahr auch keine künstlerischen Ergebnisse, die wir in der geplanten Ausstellung und dem Text-Foto-Band zeigen könnten", berichtet Heiner Remmert, der Leiter des WLB. Überdies sei es auch eine spannende Erfahrung gewesen, im Rahmen des Projekts verschiedene Digitalformate zu erproben. Vor allem die digitale Auftakt-Gala im Kühlschiff der Lindenbrauerei Unna, die mittlerweile von fast 1.000 Zuschauer*innen auf YouTube angesehen wurde, kann als großer Erfolg verbucht werden.

Direkt im Anschluss daran begaben sich ab dem 11. April 2021 Sharon Dodua Otoo und Peter Bialobrzeski als erstes Künstler*innen-Duo in Unna auf Spurensuche zum Thema HEIMAT. Während die Bachmann-Preisträgerin sich auf Begegnungen mit Menschen konzentrierte, nahm der preisgekrönte Fotograf die Architektur wie auch das Interieur von Kneipen und Gaststätten vor die Linse. Zum Programm gehörten u.a. ein virtueller Stadtrundgang, die Aufzeichnung des Fotovortrags von Peter Bialobrzeski und ein Live-Streaming der Lesung von Sharon Dodua Otoo aus ihrem Debütroman "Adas Raum".

Die Dichterin Safiye Can und die Fotografin Aleksandra Weber kamen kurz darauf nach Bochum, um das Leben der Menschen auf dem Campus der Ruhr-Universität kennenzulernen. Interviews und Fototermine mit Studierenden und Mitarbeitenden der RUB aus aller Welt sorgten hier für Austausch und Inspiration. Ihre bisherigen Arbeiten stellten die Künstlerinnen bei einer gemeinsamen Veranstaltung vor, die wegen der Covid-19-Pandemie ebenfalls digital ausgerichtet wurde.

Bereits eine Woche später waren die Fotografin Alem Kolbus und der Autor Najem Wali zu Gast im Kreis Coesfeld und zeigten sich begeistert von den Menschen, der Landschaft und den Schlössern und Burgen im Münsterland. Höhepunkt ihres Aufenthalts war sicherlich der Auftritt der Künstler*innen im sogenannten HEIMAT-Labor vor der Kolvenburg. Da der Kreis Coesfeld als Modellregion in NRW fungierte, war das Open-Air-Programm hier deutschlandweit eine der ersten Kulturveranstaltungen überhaupt, die wieder live vor Publikum stattfinden konnte.

Der Frage, ob die Fußball- und Bolzplatzkultur HEIMAT sein kann und was passiert, wenn diese plötzlich wegfällt, gingen die Autorin Helene Bukowski und der Fotograf Jörg Brüggemann Ende Mai in Dortmund nach. Das thematisch und örtlich passende Veranstaltungsprogramm auf dem Platz vor dem Deutschen Fußballmuseum wurde aufgrund noch zu großer organisatorischer Hindernisse kurzerhand auf das nächste Jahr verschoben. Das Team des WLB verlagerte jedoch auch hier die geplante Werkschau von Jörg Brüggemann und die Lesung von Helene Bukowski aus ihrem Roman "Milchzähne" ins Digitale und konnte die Künstler*innen so trotzdem öffentlich vorstellen.

Als die Lyrikerin Nora Gomringer und der Fotograf Nikita Teryoshin kurz darauf das Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop und die Henrichshütte in Hattingen bereisten, waren die Inzidenzwerte bereits soweit gesunken, dass öffentliche Kultur auch jenseits von Modellprojekten wieder möglich wurde. An der Henrichshütte in Hattingen konnte das "HEIMAT-Labor" somit auch wieder vor Publikum aufgebaut werden und ein buntes kulturelles Wochenende stattfinden: Nikita Teryoshin stellte seine Werkschau unter das Motto "Heimat ist ein Luxus" und Nora Gomringer las unter dem Titel "Heimat, deine Täuschung" aus aktuellen Texten. Poetry Slam von WortLautRuhr und ein Gig der milestones Jazzband ergänzten das Programm und begeisterten die Zuschauer*innen.

Vom Ruhrgebiet reiste das Experiment HEIMAT weiter ins Sauerland. Die Autorin Sabrina Janesch und die Fotografin Christina Stohn erforschten hier ausgehend von Schmallenberg die Gegend rund um den Wilzenberg und waren von der hügeligen Landschaft, den pittoresken Fachwerkhäusern und den offenen, herzlichen Menschen angetan. Im HEIMAT-Labor las Sabrina Janesch aus ihrem Buch "Die goldene Stadt", Christina Stohn zeigte in ihrer Werkschau einen Auszug ihrer Arbeit "Höllental und Himmelreich" und das Sebastian-Netta-Trio mit Sängerin Gaby Goldberg sorgte mit verjazzten Volksliedern für das musikalische I-Tüpfelchen.

Die letzten beiden Stationen des Experiments HEIMAT fanden dann in Ostwestfalen und Lippe statt. Von der hügeligen Landschaft des Sauerlands ging es zunächst weiter in die Widukindstadt Enger. Als "unser HEIMAT-Glück" bezeichneten Dichterin Lütfiye Güzel und die Fotografin Loredana Nemes ihren Aufenthalt dort. Sie wanderten von Herford nach Enger, begegneten Menschen und entdeckten reizvolle (Foto-)Motive. Angeregte Dialoge über HEIMAT führten sie u.a. mit Einheimischen, Migrant*innen, Mitgliedern des Heimatvereins und Jugendlichen. Ein umfangreiches Kulturprogramm mit Musik und gleich mehreren Ausstellungen begleitete die Recherche der beiden auch hier.

Den Abschluss der Recherchetour vom Experiment HEIMAT bildeten der Schriftsteller Wladimir Kaminer und das Fotograf*innen-Ehepaar Ute Mahler und Werner Mahler am Hermannsdenkmal bei Detmold. Vom Comic-Workshop für Kinder über eine Lesung aus Heinrich von Kleists "Die Hermannsschlacht" bis hin zu Musik und Gesprächen gab es auch hier ein vielfältiges öffentliches Programm zu erleben. Dessen Höhepunkt stellte sicherlich die ausverkaufte Lesung von Wladimir Kaminer bei bestem Sommerwetter direkt unter dem Hermannsdenkmal dar. "Hermann und ich blicken positiv in die Zukunft", scherzte der russisch-deutsche Bestsellerautor gleich zu Beginn.

Genau das gilt auch für die Projektmacher, denn die nunmehr abgeschossene Recherchephase markiert insgesamt erst den Anfang des insgesamt auf zwei Jahre angelegten Projekts. In den kommenden Wochen, bis in den Spätsommer setzen die beteiligten Fotograf*innen und Autor*innen das Erlebte nun in Bilderserien und Texten um.

Aus den künstlerischen Ergebnissen entstehen ein Text-Foto-Band und eine Wanderausstellung, die 2022 an alle HEIMAT-Orte zurückkehren soll – auch die Künstler*innen kommen dann noch einmal wieder, um ihre Arbeiten auch persönlich vorzustellen.

"Wir freuen uns schon auf das Wiedersehen, natürlich auch mit unseren vielen engagierten Kooperationspartnern vor Ort. Ohne ihre großartige Unterstützung und Flexibilität – gerade in schwierigen Zeiten – wäre ein Projekt dieser Größenordnung überhaupt nicht durchführbar. Ein großes Dankeschön daher an alle Beteiligten", sagt Heiner Remmert und macht bereits neugierig auf die nächste Phase des Experiments 2022: "Die ersten Fotos und Texte sind bereits bei uns eingegangen und übertreffen unsere Erwartungen schon jetzt."

Wer einige der bisherigen Stationen des Experiments HEIMAT verpasst hat: Die Besuche der Künstler*innen an den HEIMAT-Orten wurden sowohl journalistisch in Wort und bewegten Bildern als auch wissenschaftlich begleitet und umfassend dokumentiert. Darüber hinaus sind ebenso ein Großteil der digitalen Lesungen und Fotopräsentationen der beteiligten Künstler*innen weiterhin auf der Projektwebsite www.experimentheimat.de im "HEIMAT-Journal" zu sehen.