Westfälische Friedensgespräche 2023
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Internationale Literatur als Konfliktlösungsstrategie
Schriftsteller:innen aus zwei Ländern oder zwei Regionen, die in einem Konflikt miteinander stehen, entwerfen eine Vision für eine andere Art der Auseinandersetzung, um einem festgefahrenen politischen oder diplomatischen Dialog neue Impulse zu geben - dieser Grundgedanke steht im Mittelpunkt des Literaturprojekts "Westfälische Friedensgespräche". Durch ihre Bereitschaft, einander zuzuhören und aufeinander einzugehen, sollen Schriftsteller:innen darin mit den der Literatur zur Verfügung stehenden künstlerischen Mitteln, die in ihren jeweiligen Zivilgesellschaften vorherrschenden Meinungen, Ansichten und Vorurteile in den Blick nehmen, diese hinterfragen und in Bezug zu den offiziellen politischen Verlautbarungen setzen und erörtern. Denn Schriftsteller:innen eint die Fähigkeit, Konflikte auf ihre eigene - literarische - Weise zu sehen und darzustellen. Sie müssen sich nicht an Vorgaben oder politische Strategien halten, sondern können vielmehr einen neuen Standpunkt einnehmen, um die in den Konflikten auftretenden Parameter - ökonomische, politische, geographische, religiöse und kulturelle - aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Spanien - Katalonien
In seiner ersten Ausgabe 2023 widmete sich das Projekt dem jahrhundertealten Konflikt zwischen der spanischen Region Katalonien und der Zentralregierung in Madrid, der bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurückreicht, den historischen Westfälischen Frieden von 1648 überdauert hat und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Ereignisse rund um die vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien gerade wieder an Brisanz gewonnen hat. Die Abspaltung eines Autonomiegebiets ist in der spanischen Verfassung nicht vorgesehen, dennoch sind für die Zukunft verschiedene Entwicklungen denkbar, etwa ein Referendum im ganzen Land oder eine Verfassungsänderung durch das spanische Parlament. Vor solchen unüberwindbar scheinenden und polarisierenden Hürden, steht nicht nur die Politik, sondern auch die Bürgerschaft.
Begleitet durch den Ideengeber und Kurator des Projekts, den deutsch-irakischen Schriftsteller Najem Wali, befassten sich im Rahmen der "Westfälischen Friedensgespräche 2023" die beiden Autoren José Ovejero (Madrid) und Jordi Puntí (Barcelona) monatelang intensiv mit der Katalonienfrage und bemühten sich, gemeinsam neue Perspektiven darauf zu eröffnen. In zahlreichen E-Mails schärften und prüften sie ihre eigenen Positionen, lasen und hinterfragten die Argumente des jeweils anderen, um daraus gemeinsam neue Ansätze zur Befriedung des jahrhundertealten Konflikts zu entwickeln.
Den Mut, den es dafür braucht, in einem solchen Dialog auch die eigenen Sichtweisen zu hinterfragen, hat Najem Wali auf der Grundlage seiner Beobachtungen im Juli 2023 in dem folgenden Text formuliert (Erstveröffentlichung am 16. September 2023 in der FAZ):
Najem Wali: Mit Worten gegen die Katastrophe >
Najem Wali: Facing up to disaster with words >
Najem Wali: Palabras contra la catástrofe >
Najem Wali: Paraules contra la catàstrofe >
Mit dem Vortrag dieses Textes eröffnete Wali am 21. September zugleich offiziell die Westfälischen Friedensgespräche 2023 bei einem hochkarätig besetzten internationalen Podium in Münster. Gut 150 Gäste, darunter Vertreter des PEN Zentrums Deutschland, des internationalen PEN und des Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel, kamen zu dieser besonderen Veranstaltung in den Festsaal des Historischen Rathauses, die nicht nur an einem symbolischen Ort, sondern angesichts des Jubiläums "375 Jahre Westfälischer Friede" auch zu einem besonderen Zeitpunkt stattfand, wie die Bürgermeisterin der Stadt Münster, Angela Stähler, und der 1. Vorsitzende des Westfälischen Literaturbüros, Staatsminister a.d. Wolfram Kuschke, in ihren Grußworten betonten.
Auf der Bühne in Münster lasen die bekannten TV-Schauspieler:innen Kai Schumann und ChrisTine Urspruch zunächst übersetzte Passagen aus dem Briefwechsel von Ovejero und Puntí und ernteten dafür langen Applaus. Nach der Pause kam die Moderatorin des Abends, Catalina Rojas Hauser (Kulturrat NRW), mit der spanischen Dichterin und Philosophin Laura Casielles sowie Ovejero, Puntí und Wali ins Gespräch. Dabei waren sich alle einig, dass "Literatur helfen kann, die Fantasie zu erweitern, neue Fragen zu stellen und Politik aus einer neuen Perspektive zu denken", wie Casielles es ausdrückte. Auch wenn verschiedene Sichtweisen auf den Konflikt blieben, zeigten sowohl die Einblicke in den Dialog der beiden Autoren als auch das Podiumsgespräch eindrücklich auf, dass die Grundidee des Projekts ihren ersten Praxistest erfolgreich bestanden hatte.
Ihre eigene Sichtweise auf den Verlauf und die Ergebnisse der Westfälischen Friedengespräche 2023 haben José Ovejero und Jordi Puntí in diesem gemeinsam verschriftlichten Rückblick zusammengefasst:
José Ovejero, Jordi Puntí: Reflexionen zu einem friedlichen Dialog >
José Ovejero, Jordi Puntí: Reflections on a peaceful dialogue >
José Ovejero, Jordi Puntí: Reflexiones de un diálogo pacífico >
José Ovejero, Jordi Puntí: Reflexions d’un diàleg pacífic >
Ein zweites internationales Podium erfolgte gut einen Monat später, am Tag der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt/Main. Gut 60 Gäste kamen am 22. Oktober ins ganz in der Nähe der Paulskirche liegende Haus am Dom, um dort die Abschlussdiskussion unter dem Titel "Literatur als Friedensstifter" zu verfolgen. Anja Bergmann, Landesgeschäftsführerin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels NRW, und der Leiter des Westfälschen Literaturbüros, Heiner Remmert, verlasen hier zunächst Ovejeros und Puntís "Reflexionen zu einem friedlichen Dialog". Anschließend blickten Puntí und Ovejero - der aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen konnte und per Video zugeschaltet war - zusammen mit Kurator Najem Wali in einem von der Studienleiterin für Literatur im Haus am Dom, Dr. Lisa Straßberger, moderierten Gespräch noch einmal gemeinsam auf die vergangenen Monate zurück, wobei auch noch andere aktuelle Krisen und Kriege zur Sprache kamen.
Aufgrund dieser positiven und erkenntnisreichen Erfahrungen, plant das Westfälische Literaturbüro, die Zusammenarbeit mit dem Ideengeber und Kurator Najem Wali fortzusetzen und in der Zukunft noch weitere Ausgaben der "Westfälischen Friedensgespräche" zu anderen internationalen Konflikten auszurichten - etwa den Nordirlandkonflikt nach dem Brexit oder die dauerhaften Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland.
Die "Westfälischen Friedensgespräche 2023" waren ein Projekt des Westfälischen Literaturbüros in Unna e.V. nach einem Konzept von Najem Wali (künstlerischer Kurator) unter Beteiligung des PEN Zentrums Deutschland, ermöglicht durch Förderung und Mitwirkung der Kunststiftung NRW, der Stiftung Westfalen-Initiative, der LWL-Kulturstiftung und des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Schirmherrin war die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Svenja Schulze.
Im Begleitprogramm fanden noch zahlreiche weitere literarische Veranstaltungen statt.
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